Alleine unter Menschen: die Geschichte eines Fremden
Schon als Kind war das Wesen, welches hier beschrieben wird, sehr einsam. Freunde, wirkliche Freunde waren keine da. Es selbst war voller Selbstzweifel und Komplexe und
hatte das Gefühl nichts wert zu sein. Das Wesen war nicht in der Lage dies zu
verstehen.
Viele Jahre später fragte sich das Wesen, „warum bin ich noch Heute
alleine?“. Verheiratet, Kinder, ein paar Freunde und Arbeitskollegen, die das
Wesen anerkennen und schätzen. Doch es selbst fühlt sich einsam und ist
alleine. Tief in seinem Inneren sind Gefühle vergraben. Gefühle, die schon in
seiner Kindheit von dem Wesen Besitz ergriffen. Sie folgten den traumatischen
Ereignissen seiner Kindheit und ließen es seither nicht mehr los.
„Andere sagen, ich sei ein Mensch der versteht, der Dinge sieht, wozu viele andere Menschen nicht in der Lage sind.“, stellt das Wesen verwundert fest und weiß nicht so
genau, wie es das einordnen kann. Nach Meinung seines Umfeldes liegt genau in
diesen Dingen der besondere Wert des Wesens, welches das für sich selbst einfach
nicht fühlen kann.
Der Wunsch des kleinen, inneren Kindes, es müsse jemand da sein, der ihm aus seiner hilflosen Lage heraus hilft und es unterstützt ist groß. Doch dieser Jemand ist nie
gekommen. Er hat nie geholfen. Das Wesen musste sich selbst helfen, so gut es
eben konnte. Viele Umwege waren nötig und ein zäher Prozess des Aufarbeitens seiner eigenen Situation läuft seit über zwei Jahrzehnten. Immer wieder stelle das Wesen fest, dass dieser Prozess noch längst nicht abgeschlossen ist. Spätestens an der Tatsache des alleine Seins wird es deutlich.
Obgleich ihm schon vieles seines Selbst bekannt und bewusst ist, ist das Wesen überzeugt
noch vieles lernen zu müssen. Es hat lange gedauert bis es an seine Grenzen
stieß, doch diese Grenzen zeigten einen Bedarf auf. Sie lehrten Bescheidenheit
im Umgang mit ihm selbst und verdeutlichten die Bedeutung des Verstehens und
der Selbstkenntnis. Trotz dessen nimmt das Wesen seine Geschichte und sein
Schicksal an. Amor fati, „das Geliebte Schicksal“ steht
für Entwicklung und Fortschritt seines Selbst(systems). In diesem Sinne sind
die weiteren Ausführungen der Annahme und Akzeptanz des eigenen Schicksals
gewidmet. Sie dienen dem Verstehen und sollen die Einsamkeit begleiten und
erklären.
Gedanken eines einsamen Wesens unter Menschen: „Ich bin überzeugt, dass ein gewisser Teil meines Selbst immer einsam bleiben wird. Es ist der Teil, den das kleine Kind hinter eine stabile Mauer stellen musste und bis heute versteckt, um sich zu schützen.“
Amor fati lehrte das Wesen nicht danach zu fragen „warum ist es passiert?“ und „warum
habt ihr das getan?“, sondern danach zu fragen „was hat es mit mir gemacht und
wie kann ich damit umgehen?“. Wo kann ich heute von meiner Geschichte profitieren und wo muss ich noch lernen? – Über diese Fragen ist das Wesen in der Lage sein Schicksal anzunehmen.
Das Wesen denkt dazu: „Heute, als erwachsenes Wesen, erfahre ich Anerkennung. Sowohl beruflich als auch menschlich bekomme ich viel Bestätigung. Mir wird menschliche und
fachliche Kompetenz nachgesagt. Zusätzlich werden mein Aussehen und die
positive Ausstrahlung in meinem Umfeld häufig hervorgehoben. Selber sehe ich
mich bis heute anders. Zwar kann ich die positiven Aussagen mittlerweile besser
annehmen als früher, doch bin ich stets selbstkritisch und hinterfrage mich
häufig. Früher habe ich die Menschen abgelehnt, ja sogar gehasst, die
behaupteten ich sei hübsch oder attraktiv. Damit konnte ich nicht umgehen und
konnte mich selbst nie so sehen. Erst jetzt, in der Mitte meines Daseins, verstehe
ich nach und nach warum ich früher so reagieren musste.“
Die, welche sich
an dem Wesen schuldig gemacht haben, betonten immer wie sehr das Wesen ihnen
gefiel, wie hübsch es sei. Diesem Umstand gab das Wesen die Schuld an dem was
passiert war. Das Wesen schrieb dazu: „Oft hatte ich in meiner Kindheit die
Vorstellung meinen Körper verletzen zu müssen. Nachhaltige Verletzungen sollten
es sein, die mein Äußeres verunstalten sollten. Der Mut dazu fehlte mir
letztlich, doch der Wunsch war ein steter Begleiter in meiner Kindheit. Statt
das Gesicht zu verunstalten blieb es bei Verletzungen der Arme und Beine, Hände
und Füße, sowie innerpsychischen Verletzungen verschiedenster Ausprägung. Seit
einiger Zeit ist mir das eben Genannte bewusst und ich muss sagen, dass ich
froh bin diesen zerstörerischen Tendenzen nicht mehr nachgegeben zu
haben.“
Heute muss das Wesen keine Angst
mehr haben sympathisch zu sein oder gar gut auszusehen. Es ist keine negative
Bedeutung mehr damit verbunden. Heute weiß es, dass es den anderen Menschen
nicht ausgeliefert ist und sich wehren kann. Dementsprechend muss es sich nicht
mehr selbst verletzen, sich selbst hassen und ablehnen. Die Verantwortung für
das Geschehene liegt bei den Tätern und nicht bei ihm! Für diese Erkenntnis musste
das Wesen so alt werden.
Das Wesen denkt dazu: „Endlich weiß ich auch, dass ich mein Schicksal lieben bzw. meine Geschichte annehmen kann und darüber hinaus auch selber tragen muss. Zwar kann ich über das Geschehene reden, jedoch kann mir niemand meine Geschichte abnehmen. Das eigene Schicksal kann ich nur alleine, in der Einsamkeit meines Selbst, bewältigen und
tragen! Das ist die Wurzel des Gefühls der Einsamkeit, hier findet sie ihre Berechtigung.“
Im Hinblick auf seine Einsamkeit sind dem Wesen die Menschen sehr ähnlich. Das Thema alleine sein oder alleine leben oder sich einsam fühlen ist in der Menschenwelt ein sehr
zentrales. Gerade diese Ablehnung des eigenen Selbst führt zur äußeren Isolation.
Das Wesen schreibt dazu:
„„Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ bedeutet in der Umkehr, dass wenn ich
mich selbst nicht liebe mich kein anderer lieben kann. Die Realität vieler
Menschen bestätigt dies immer wieder. So wie ich selbst früher alleine war,
keine Freunde haben konnte, ist es vielen Menschen auferlegt ihre
Selbstablehnung mit der Einsamkeit zu bezahlen. Das ist ein hoher Preis für
etwas, das in der Regel der Mensch nicht selber zu verantworten hat.“
Auch die Erkenntnis, dass es unwichtig ist ob die Gesellschaft versteht, ist für die Entwicklung der Menschen sehr wichtig. Sie müssen relativ unabhängig von der Meinung
anderer sein, um zu sich selbst stehen zu können. „Mag ich mich, so bin ich nicht auf andere angewiesen. Dies gibt mir die Freiheit die Menschen auszuwählen denen ich Bedeutung zuschreibe und macht mich von einer Vielzahl von „weniger wichtigen“ Menschen unabhängig.“ Sagte einst das Wesen dazu. „Dabei darf ein Mensch niemals genötigt werden eigene Grenzen zu überschreiten bzw. einen Weg zu gehen, der nicht sein eigener ist.“ So wie das Wesen selbst den kleinen einsamen Teil in sich aufrecht
erhält, haben andere das Recht ihre Strukturen aufrecht erhalten zu wollen. Der
Respekt und die Achtung vor anderen Menschen und Wesen verbietet es gegen den
Willen anderer zu handeln.
Vielleicht sind die Gedanken und Überlegungen des Wesens von Bedeutung. Vielleicht sind es die Gedanken eines einzelnen Wesens, für sich und völlig anders als die Erfahrungen anderer Wesen. Es wird einsam bleiben und es wird andere Wesen finden, die mit ihm gemeinsam einsam – und nicht mehr einsam – sind.
(c) Markus R. Angerer 2008